Das Haus der jüdischen Familie de Levie

Bahnhofstraße 24a, 26180 Rastede

Die Familie de Levie

Levie de Levie war von Beruf Viehhändler. Seine Frau Sophie war die Tochter des Viehhändlers Arend Polak aus Westerstede. Um 1900 zogen sie nach Rastede und kauften dort das im Jahr 1878 erbaute Wohnhaus in der Bahnhofstraße, welches heute die Hausnummer 24a hat. Sophie de Levie war die Schwester von Selma Hoffmann (geb. Polak), die mit ihrer Familie in der heutigen Raiffeisenstraße 16 lebte.

Levie de Levie und seine Frau Sophie hatten vier Kinder: Grete, Regina, Bernhard und Anna. Im Jahr 1933 lebten außer Levie und Sophie de Levie auch ihre Kinder Regina, Bernhard und Grete sowie Gretes Tochter Hannelore Rosenbaum und Reginas Ehemann August Wittkop in dem Haus in der Bahnhofstraße 24a. Spätestens ab Mai 1935 gehörte auch Bernhards Frau Doris de Levie (geb. Bachmann) zur Hausgemeinschaft.

Die dritte Tochter, Anna, hatte den jüdischen Viehhändler Norbert Pagener geheiratet. Sie lebten mit ihren beiden Töchtern Ruth und Ingrid in der Knoopstraße (heutige Raiffeisenstraße).

Bei der Machtergreifung der Nationalsozialisten war Levie de Levie 58 Jahre alt, seine Frau Sophie war 56 Jahre alt, ihre Kinder Grete, Bernhard und Regina waren um die dreißig Jahre alt.

Levie de Levie

  • Geburtsdatum: 12. September 1874
  • Geburtsort: Niewe Pekela (Provinz Groningen, Niederlande)
  • verheiratet mit: Sophie de Levie (geb. Polak)
  • Kinder: Grete de Levie (verh. Rosenbaum), Regina de Levie (verh. Wittkop), Bernhard de Levie, Anna de Levie (verh. Pagener)
  • Todesdatum: 8. August 1950
  • Todesort: Cochabamba, Bolivien

Sophie de Levie, geb. Polak

  • Geburtsdatum: 7. März 1877
  • Geburtsort: Westerstede
  • verheiratet mit: Levie de Levie
  • Kinder: Grete de Levie (verh. Rosenbaum), Regina de Levie (verh. Wittkop), Bernhard de Levie, Anna de Levie (verh. Pagener)
  • Todesdatum: um 1950
  • Todesort: Buenos Aires, Argentinien

Grete Rosenbaum, geb. de Levie

  • Geburtsdatum: 21. Januar 1901
  • Geburtsort: Astede bei Varel
  • Beruf: Chemikerin, arbeitete später als Sekretärin und dann als Putzkraft
  • verheiratet mit: Moritz Rosenbaum aus Bremen (Scheidung bereits vor 1933)
  • Kind: Hannelore Rosenbaum
  • Todesdatum: 4. Dezember 1975
  • Todesort: Berlin

Hannelore Rosenbaum

  • Geburtsdatum: 02. Juni 1924
  • Geburtsort: Bremen
  • Eltern: Grete Rosenbaum (geb. de Levie), Moritz Rosenbaum
  • Todesdatum und -ort: nicht bekannt

Regina Wittkop, geb. de Levie

  • Geburtsdatum: 1. Februar 1902
  • Geburtsort: Rastede
  • verheiratet mit: August Wittkop (Heirat am 28. November 1933)
  • Todesdatum und -ort: nicht bekannt

August Wittkop (christl.)

  • Geburtsdatum: nicht bekannt
  • Geburtsort: Barsinghausen
  • verheiratet mit: Regina Wittkop, geb. de Levie (Heirat am 28. November 1933)
  • Todesdatum: 26. März 1945
  • Todesort: Barsinghausen

Bernhard de Levie

  • Geburtsdatum: 29. Dezember 1903
  • Geburtsort: Rastede
  • Beruf: Viehhändler
  • verheiratet mit: Doris, geb. Bachmann
    (Heirat am 17. Mai 1935)
  • Todesdatum: 23. Juni 1963
  • Todesort: Buenos Aires, Argentinien

Doris de Levie, geb. Bachmann (christl.)

  • Geburtsdatum: 16. Juli 1909
  • Geburtsort: Oldenburg
  • Beruf: Apothekerin
  • verheiratet mit: Bernhard de Levie (Heirat am 17. März 1935)
  • Todesdatum und -ort: nicht bekannt

Ausgrenzung und Verfolgung

Die Familie de Levie wurde besonders häufig das Ziel von Schikane und Anfeindung, weil die Kinder Bernhard und Grete Sozialdemokrat*innen waren. Daher führte die Polizei immer wieder Hausdurchsuchungen durch.

Rasteder Nationalsozialist*innen bezeichneten es zudem als Provokation, dass Bernhard und Regina Personen heirateten, die gemäß der nationalsozialistischen Rassenlehre als „Arier“ galten. Verboten wurde dies im Jahr 1935 durch die Nürnberger Gesetze. Schon 1933, als Regina de Levie August Wittkop heiratete, galt dies in Rastede als “Rassenschande” und führte zu sozialer Ausgrenzung. Ihre Hochzeit konnte zwar in Rastede stattfinden, nach der Heirat war es für August Wittkop aber unmöglich, eine Anstellung zu erhalten. Wenn ihn jemand einstellen wollte, intervenierte die Rasteder NSDAP oder Bürgermeister Fritz Jeddeloh selbst.

Über die Situation ihrer Familie in Rastede ab 1933 berichtete Gretes Tochter Hannelore Rosenbaum später: “In diesem kleinen Ort war auch ein Bürgermeister, der ein furchtbarer Antisemit war. Der hat schon vorher meiner Familie immer das Leben schwer gemacht.” Über ihre Kindheit erzählte sie rückblickend, “dass ich immer ruhig sein musste, mir alles gefallen lassen musste, wehr dich nicht, mache nichts, deine Onkel, Vetter, alle kommen ins KZ.”

Bernhard de Levie heiratete im Jahr 1935 – vier Monate, bevor es durch die Nürnberger Gesetze verboten wurde – die „Arierin“ Doris Bachmann. Sie kam aus Oldenburg und hatte in Rastede in der Hof-Apotheke eine Lehre zur Apothekerin absolviert. In Rastede war eine Hochzeit zwischen den beiden zu dieser Zeit nicht mehr möglich, ihre Trauung fand daher in Oldenburg statt. Doris de Levie berichtet später: “In der ‘Oldenburger Staatszeitung’ stand über unsere Hochzeit ein hässlicher Artikel, in dem es sinngemäß hieß, dass man solche Rassenschande zukünftig nicht mehr zulassen werde.” Als Frau eines Juden durfte sie nach der Hochzeit in den meisten Rasteder Geschäften nicht mehr einkaufen. Bernhard de Levie wurde immer wieder wegen Kleinigkeiten verhaftet, sein Geschäft ging zurück.

Vertreibung und Flucht nach Südamerika

Als sich die Lage immer weiter verschärfte, flohen die Mitglieder der Familie de Levie aus Rastede. Regina Wittkop (geb. de Levie) ging 1935 mit ihrem Ehemann nach Schwerin. Grete Rosenbaum (geb. de Levie) und ihre Tochter Hannelore zogen im Mai 1936 von Rastede nach Hamburg.

Ab 1936 machten die Rasteder Bauern keine Geschäfte mehr mit den jüdischen Viehhändlern, ein Leben in Rastede war daher auch für Levie de Levie, seinen Sohn Berhard und ihre Ehefrauen nicht mehr möglich. Im März 1937 gingen sie nach Oldenburg. Zuerst wohnten sie in einem Haus im Melbrink, das Levie de Levie gekauft hatte. Auch ein befreundetes jüdisches Ehepaar kamen bei ihnen unter und etwas später die Tochter Anna Pagener mit ihrer Familie.

Bernhard und Doris de Levie gelang im April 1938 die Flucht ach Argentinien, weil Doris dort Verwandte hatte.

Grete Rosenbaum (geb. de Levie) konnte im Oktober 1938 von Hamburg nach Bolivien fliehen. Dies wurde durch ihren Lebensgefährten, den Sozialdemokraten Heinrich Renken, ermöglicht. Er stammte ursprünglich aus Ohmstede und war bereits 1935 vor den Nazis zunächst in die Tschechoslowakei und dann weiter nach Bolivien geflohen. Hannelore Rosenbaum berichtete später, sie haben das Schiff “mit je einem Koffer und zehn Mark” bestiegen.

Levie und Sophie de Levie blieben zunächst in Oldenburg zurück. Sie mussten innerhalb von kurzer Zeit zwei mal umziehen. Für zwei Monate lebten sie in der Uferstraße 62, danach zogen sie in die Achtern Straße 46. In beiden Wohnhäusern lebten sie mit vielen anderen jüdischen Menschen auf engem Raum. Auch ihre Tochter Anna Pagener war dort jeweils gemeldet.

Im Zuge der Novemberpogrome 1938 wurde Levie de Levie verhaftet und zusammen mit fast allen anderen anderen jüdischen Männer aus Oldenburg und Umgebung für mehrere Wochen im KZ Sachsenhausen interniert.

Im Februar 1940, als der Zweite Weltkrieg bereits begonnen hatte, gelang auch Levie und Sophie die Flucht nach Bolivien.

Zwangsarbeit

Regina Wittkop (geb. de Levie) und ihr Ehemann konnten nicht ins Ausland fliehen, da August Wittkop erkrankt war. Sie wurden in ein “Judenhaus” in Hamburg eingewiesen. Ab 1941 wurden Hamburg – wie auch in anderen Großstädten – bestimmte Viertel als Ghettos genutzt, um Menschen jüdischer Herkunft konzentrieren und überwachen zu können. Dazu wurden vor allem Häuser von jüdischen Menschen sowie jüdische Alten- und Pflegeheime mit Jüd*innen belegt, die aus ihren Heimatorten ausgewiesen worden waren. Diese Häuser wurden zu elenden Massenunterkünften: Die jüdischen Menschen hatten kaum Nahrung und erhielten keine medizinische Versorgung. Ab Ende 1942 wurden auch Ehepaare eingewiesen, die eine sogenannte “privilegierte Mischehe” führten, in der eine Person nicht jüdischer Herkunft war. Regina und August Wittkop lebten im “Judenhaus” Rappstraße 15 im Hamburger Grindelviertel. Regina Wittkop musste Zwangsarbeit leisten. August Wittkop verstarb im März 1945 in Barsinghausen.

Nach dem Ende des Nationalsozialismus

Nach Kriegsende folgte Regina Wittkop (geb. de Levie) ihrer Schwester Grete Rosenbaum (geb. de Levie) und deren Tochter Hannelore nach Bolivien.

Bernhard de Levie und seine Frau Doris blieben zeitlebens in Argentinien. Er wurde dort Viehhändler und sie bekamen eine Tochter.

Levie de Levie starb im August 1950 in Bolivien. Er wurde 70 Jahre alt. Sophie de Levie verstarb wenig später in Argentinien.

Ihre Enkelin Hannelore Rosenbaum heiratete in Bolivien einen Sozialdemokraten, der ebenfalls vor den Nazis geflohen war, und gründete mit ihm eine Familie. Eine Rückkehr nach Deutschland war für die Geflohenen lange Zeit kein Thema. Aus familiären Gründen kamen sie in den 1970er Jahren dann doch zurück. Sie zogen nach Berlin, weil sich Hannelores Tochter und ihr Schwiegersohn dort ein Leben aufbauen wollten. Grete Rosenbaum (geb. de Levie) und Regina Wittkop (geb. de Levie) folgten ihnen ein Jahr später.

Das Haus in der Bahnhofstraße 24a

Als Levie de Levie um 1900 mit seiner Familie nach Rastede zog, kaufte er das 1878 erbaute Wohnhaus in der Bahnhofstraße 24a. Das zum Haus gehörige Grundstück war damals wesentlich größer: Auch das Grundstück nebenan, auf dem sich heute die Polizeistation befindet, gehörte zum Haus der Familie de Levie. Hier befanden sich die Stallungen.

Im Jahr 1937 verließ Levie de Levie mit seiner Frau Sophie, dem Sohn Bernhard und dessen Ehefrau Doris Rastede. Die Gemeinde Rastede eignete sich ihr Wohnhaus an und vermietete es. Zeitweise wurde hier auch ein Kindergarten untergebracht. Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten enteignete Immobilien wieder an ihre rechtmäßigen jüdischen Eigentümer zurückgegeben werden. Nicht zurückgegeben wurden allerdings die Möbel.

ehemaliges Wohnhaus der Familie de Levie in der Bahnhoftstraße 24a, Foto von 2022

In den 1950er Jahren gehörte das Haus dann wieder der Gemeinde Rastede und wurde von mehreren Familien bewohnt. Später wurde es eine Polizeistation. Als die Polizei im Jahr 1976 in das neue Gebäude nebenan umzog, kaufte der Anwalt Erwin Hanschel das Haus. Er nutzte es bis 2007 als Anwaltskanzlei und richtete 2008 für kurze Zeit eine Kunstgalerie ein, bevor er es wieder verkaufte. 2011 wurde das Haus renoviert und eine Naturheilpraxis eingerichtet. Heute befindet sich in dem historischen Gebäude ein Zentrum für Bioresonanz-Therapie.

Informationen über die Familie de Levie wurden entnommen aus:

Vahlenkamp, Werner: Von der Achtung zur Ächtung: Die Geschichte der Rasteder Juden. 1989. (Das Buch kann in der Gemeindebücherei Rastede ausgeliehen werden.)

Erinnerungsbuch: Ein Verzeichnis der von der nationalsozialistischen Judenverfolgung betroffenen Einwohner der Stadt Oldenburg 1933 – 1945. Bremen: Ed. Temmen 2001.
Einträge im Erinnerungsbuch online zu den folgenden Adressen in Oldenburg:
Melbrink 71: http://erinnerungsbuch-oldenburg.de/jeo.php?AID=105, letzter Zugriff 08.10.2025.
Uferstraße 62: http://erinnerungsbuch-oldenburg.de/jeo.php?AID=3, letzter Zugriff 08.10.2025.
Achternstraße 46: http://erinnerungsbuch-oldenburg.de/jeo.php?AID=2, letzter Zugriff 08.10.2025.

Lehmann, Armin: Deutschjüdisches Leben in der Emigration und im Exil in Bolivien 1937-45. Ibero-Amerikanisches Institut Preußischer Kulturbesitz 1996, S. 187-202.
Online verfügbar: https://digital.iai.spk-berlin.de/viewer/image/883964228/192/, letzter Zugriff 08.10.2025.

o.A.: Stammbuch der Strafanstalt Oldenburg: Polizeigefangene. Bd. 3: 1932-1938. (Die Akten können im Niedersächsichen Landesarchiv, Abteilung Oldenburg eingesehen werden.)


Zur Geschichte des Hauses in der Bahnhofstraße 24a:

Müller, Wolfgang: Kunst nach Polizei und Anwaltskanzlei. In: NWZ Online, 04.09.2008, https://www.nwzonline.de/ammerland/kultur/kunst-nach-polizei-und-anwaltskanzlei_a_3,0,3568086890.html, letzter Zugriff: 24.06.2022. (Dieser Artikel der NWZ kann als „PLUS-Artikel“ von Abonnent*innen oder gegen Entgelt abgerufen werden.)